27. August 2024

Während seiner Tätigkeit am Geographischen Institut der Universität Bern beschäftigte sich unser Autor mit der Entstehung tropischer Böden. In diesem Artikel erzählt er von falschen Anfangshypothesen, scheinbar widersprüchlichen Daten und der überraschend tiefgreifenden Wirkung der Bodenfauna.

Autor: Tobias Sprafke

Wer sich für Böden begeistert und ein wenig Grundwissen angeeignet hat, denkt beim Thema Tropen vermutlich an tiefgründige rote Böden. Für die attraktive Färbung verantwortlich ist die relative Anreicherung von feinstverteiltem Hämatit (Eisenoxid) im Zuge intensiver Verwitterung; die US-Bodenklassifikation kennt für derartige Böden den eingängigen Begriff Oxisol. Nicht minder logisch scheint der Begriff Ferralsol der internationalen Klassifikation (WRB), wegen der recht hohen Gehalte an Eisen (lat.: ferrum) und Aluminium (Al) in diesen Böden.

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Links: Roterde mit Steinlage in Minas Gerais (Brasilien) | Rechts: Schichtstufe mit Lateritkrusten (São Paulo, Brasilien)
Quelle: Tobias Sprafke

Vielleicht kommen Ihnen auch direkt Eisenkrusten (Lateritkrusten) in den Sinn, die vor allem in den wechselfeuchten Tropen das Bodenlandschaftsbild bestimmen. Der traditionsreiche Begriff Laterit umfasst eisenreiche Zonen tropischer Verwitterungsprofile, die im bodenfeuchten Zustand geschnitten werden und bei Luftzutritt irreversibel verhärten, so dass das Material als Ziegelstein (lat.: later) verbaut werden kann.
 

Natürlich gibt es in den Tropen verschiedenste Böden, von jung bis alt, von wassergesättigt bis trocken, doch der typische Boden gut drainierter, alter Landschaften ist die tropische Roterde, auch (Roter) Latosol genannt. In den immerfeuchten Tropen rund um den Äquator dominieren allerdings gelbe Böden, da hier der gegenüber Hämatit etwas „feuchtere“ Goethit (Eisenhydroxyd) als färbendes Pigment wirkt. Es scheint bekannt, dass tiefgründige rote und gelbe Böden durch Jahrmillionen intensive Verwitterung entstehen, doch es gibt scheinbare Merkwürdigkeiten, die seit Jahrzehnten Diskussionen, ja Konflikte über deren Entstehungsprozesse und ihre Raten hervorrufen.

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Links: Handstück einer Lateritkruste in Südkamerun mit Bereichen von Goethit- (gelb bis braun) und Hämatitdominanz (rot-bis violett) | Rechts: Soja, soweit das Auge reicht in Paraná, SE Brasilien.
Quelle: Tobias Sprafke

Lassen wir in Folge die Klassifikation im Hintergrund und nennen das rote bis gelbe Bodenmaterial schlicht TYRE (tropical yellow to red earth). Es handelt sich hier um die oft fein strukturierte, stark belebte Haut tropischer Landschaften, häufig auch Biomantel genannt. Mit viel Dünger, insbesondere Kalk und gegebenenfalls Bewässerung, kann man diesen naturgemäss sauren, nährstoffarmen, aber oft gut strukturierten Böden hohe Erträge abringen, teils auch mehrmals im Jahr. Soja, Zuckerrohr und Palmöl sind günstiger Treibstoff für Mensch, Tier und Maschinen. Vor allem aus diesem Grund werden gegenwärtig gut zehn Fussballfelder tropischen Regenwaldes pro Minute vernichtet.
 

Doch wie kommt es dazu, dass in diesen naturgemäss stark belebten, intensiv durchwühlten Böden oft diskrete Horizonte sichtbar sind, teilweise auch Lagen von Holzkohle die sich auf das Spätpleistozän datieren lassen? Kohlenstoffisotope entlang von Tiefenprofilen, häufig gepaart mit Variationen von Phytolithen, geben Hinweise auf spätquartäre Veränderungen der Ökosysteme, als sei TYRE ein Sedimentarchiv. Lagen mit Steinwerkzeug lassen vermuten, dass hier geschichtetes Bodenmaterial vorliegt. Nicht zuletzt wirken Steinlagen an der Basis von TYRE, im Übergang zu Lateritkrusten und Gesteinszersatz, häufig wie grobe Ablagerungen, welche von strömendem Wasser verlagert scheinen.
 

Die geschilderten Phänomene sind nicht selten und haben dazu geführt, dass keine geschlossene Theorie über die Entwicklung von TYRE entstehen konnte. Zu kontrovers scheinen geologische, geomorphologische, ökologische und archäologische Perspektiven, welche Bodenkunder*innen mitunter verzweifeln lassen. In Mitteleuropa sind wir uns des tiefgreifenden Einflusses quartärer Klimaveränderungen auf die Böden bewusst. Doch sind geschichtete Ausgangsmaterialien, Staubeinträge und Kolluvien auch in den Tropen weit verbreitet?

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Untersuchung eines gelben Ferralsols in Südkamerun (links) und eines roten Ferralsols in SE-Brasilien (rechts).
Quelle: Tobias Sprafke

Eine wertvolle Methode, um das Alter von Sedimentschichten zu bestimmen ist die Lumineszenzdatierung. Im Laufe der Zeit bauen Quarz und andere Minerale unter dem Einfluss von Umgebungsstrahlung ein Lumineszenzsignal auf, welches im Dunkellabor kontrolliert bestimmt werden kann. Wer die Umgebungsstrahlung kennt, die pro Zeit auf die gemessenen Minerale einwirkt und deren Lumineszenzsignal bestimmt, kann datieren, wann diese begraben wurden. Denn bei Licht wird diese mineralinterne Uhr wieder auf null gesetzt.
 

Lumineszenzdatierung an tropischen Böden erschien lange Zeit sinnfrei, denn wie sollten Minerale im Untergrund von lokalen Verwitterungsprodukten jemals Sonnenlicht erhalten haben? Allerdings gibt es seit mindestens zwei Jahrzehnten Studien, die feststellen, dass methodisch sinnvolle Alter in TYRE bestimmbar sind. Diese Datierungen liegen meist innerhalb der letzten 100‘000 Jahre und werden nahezu gesamthaft als Beleg gesehen, dass auch die Tropen auf dieser Zeitskala tiefgreifende geomorphologische Veränderungen erfahren haben.
 

Die tropical loess-Theorie besagt, dass TYRE aus eiszeitlich windverblasenen regionalen Verwitterungsprodukten bestehe. Eine Lumineszenz-Testprobe aus 1.5 m Tiefe in TYRE nahe São Paulo ergab im Jahr 2015 ein Alter im Bereich des letztglazialen Maximums, was mir als Lössforscher wie ein schlüssiger Beleg einer äolischen Ablagerung vorkam. Am Geographischen Institut in Bern vertiefte ich meine Forschungen, bis ich merkte, dass ich komplett falsch lag. Es hat einige Jahre gebraucht, das eigene Weltbild zu revidieren, die mittlerweile angewachsene Menge an Lumineszenzdatierungen mit einer systematischen Literaturstudie zu Verwitterung- und Bioturbationsraten zu ergänzen und das Manuskript nach dem Auslaufen der Stelle zu finalisieren und zu publizieren.

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Materialtransfers bei der Entwicklung von TYRE. BR: anstehender Fels (bedrock), SA: zersetztes Gestein (saprolite), LF: Eisenkruste (laterite / ferricrete), SL: Steinlage (stoneline). a: autochthoner Transport durch Termiten und Ameisen, b: diffuse Bioturbation durch diverse Organismen, c: Bodenkriechen (creep), d: Abtragung (denudation), e. Windtransport (eolian transport).
Quelle: Tobias Sprafke et al. (2024)

Das nun veröffentlichte Modell der TYRE-Entwicklung ist keine revolutionäre Neuerfindung, vereint und verfeinert jedoch scheinbar divergierende Theorien und Erklärungen. Die Lösung für die scheinbare Schichtung in einem stark von Bioturbation geprägten Verwitterungsprodukt liegt in einer besonderen Art der biomechanischen Tätigkeit, die eben nicht chaotisch wühlend, sondern ziemlich gut sortierend und schichtend wirkt. Termiten und Ameisen bringen stetig Feinmaterial als Wohnbauten oder Abraum an die Oberfläche, welches lokal verlagert und stetig mit neuem Material bedeckt wird. Lumineszenzdatierungen aus verschiedenen Regionen belegen sehr grob gemittelt gut 10 cm TYRE-Bildung in tausend Jahren – ähnliche Raten leisten Termiten und Ameisen durch Ihre Bautätigkeit. Zur Einordnung: Das ist gut zehnmal so schnell wie tropische Tiefenverwitterung.
 

Im Manuskript finden sie eine ausführliche Darstellung des Modells, der Datenbasis und die zahlreichen Implikationen, die hier nicht weiter vertieft werden sollen. Was mich an dieser Studie erfreut ist, dass ich meine falsche Anfangshypothese ausführlich selbst widerlegen konnte, und zwar genau mit der Methode, die mir sinnvoll für die Bestätigung der äolischen Theorie schien.
 

Unser kürzlich erschienener Artikel würdigt stattdessen die grosse Leistung unzähliger Kleinstlebewesen im Erschaffen und Umarbeiten von TYRE. Diese Arbeit mag ein Puzzlestück für ein vertieftes Verständnis der Entwicklung tropischer Bodenlandschaften sein, als Motivation für deren gezielte und nachhaltige Nutzung. Möglicherweise sehen Sie nach der Lektüre dieses Artikels auch in unseren Regionen Windwürfe, Ameisenhaufen, Regenwurmhäufchen und Substratwechsel als Hinweise auf den noch oft unterschätzten biomechanischen Einfluss auf unsere Böden…?

Tobias Sprafke
Berner Fachhochschule
Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL
tobias.sprafke@bfh.ch